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Zur Geschichte der Photometrie
in der klinischen Chemie

Prim. Univ.Prof.Dr. Kurt Bauer, Univ.Doz.Dr. Wolfgang Hübl
 
(Teile der Seite entstammen dem Artikel "Zur Geschichte der Photometrie" von Kurt Bauer in der Zeitschrift "Labor aktuell", Ausgabe 1/2002)
  
 
Die klinische Chemie hat zwei genetische Wurzeln, die unterschiedlicher nicht sein können.

Die erste, ältere Wurzel ist wohl in der "Harnbeschau" zu sehen. Die Diagnostik aus dem Urin durch Feststellung von Farbe, Geruch, Geschmack (?) und Menge ist bereits in schriftlichen Zeugnissen aus dem alten Griechenland belegt. Die Feststellung von Farbveränderungen ist nach heutigem Verständnis ein wohl primitives, aber immerhin brauchbares kolorimetrisches Verfahren. Somit gehört die Kolorimetrie zu den ältesten "labormedizinischen" Methoden. Allerdings handelte es sich bei diesem Verfahren lediglich um eine grobe, höchst individuelle Schätzung der Farbabweichungen. Die zweite, bedeutend jüngere Wurzel ist in gravimetrischen Verfahren zu sehen. Im 19. Jahrhundert wurden die Analysenwaagen stark verbessert, so dass präzise Messungen im Milligramm-Bereich leicht möglich wurden. Damit war die Waage im 19. Jahrhundert das bei weitem genaueste Messinstrument in der Chemie (Abb. 1).

Analysenwaage Abb. 1:
Analysenwaage (um 1900).

Auf der rechten Seite Vorrichtung für extern steuerbare Gewichtsauflage.

Diese Genauigkeit wurde allerdings durch mühselige analytisch-chemische Prozeduren erkauft: Isolierung der gesuchten Substanz, diverse Fällungs- und Reinigungsschritte und schlussendlich die zeitraubende Wägung. Dennoch waren die gravimetrischen Verfahren in der biologischen (biochemischen) Forschung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führend. Für breite Routineanwendungen waren diese Methoden nicht geeignet, allerdings gab es damals noch keine klinisch-chemische Routinediagnostik im heutigen Sinn.

Von den früher gebräuchlichen, aber sehr zeitraubenden titrimetrischen Verfahren ist in der heutigen klinischen Chemie nichts mehr übriggeblieben. Mit einer Ausnahme: Eine letzte Ahnung ist im Namen "BUN" (blood urea nitrogen) erhalten. Harnstoff war vor 1900 als Substanz nicht leicht nachweisbar, daher wurde der darin enthaltene Stickstoff nach Kjeldahl titrimetrisch bestimmt und das Resultat eben korrekt als Harnstoff-Stickstoff angegeben! Heute messen wir den Harnstoff im enzymatischen Test wieder als diesen, geben aber – eigentlich unkorrekt – das Resultat vielfach immer noch als "BUN" an.

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Geschichte der Kolorimetrie

Für die kolorimetrischen Verfahren mussten zunächst die entsprechenden Instrumente entwickelt werden, erste brauchbare Methoden wurden 1873 durch Vierort und 1878 durch Gowers zur Quantifizierung des Hämoglobins angegeben (Abb. 2, 3).

Abb. 2: Kolorimeter zur Hämoglobin-Bestimmung
(Goldenberg & Söhne, ca. 1930). Methode nach "Sahli" = Umwandlung des roten Hämoglobins in salzsaures Hämatin von gelblicher Farbe.
Kolorimeter, offen. In die Probenküvette (PK) wird die Probe eingefüllt. In dem nach unten dünner werdenden Glaskeil (GK) ist eine farbige Referenzlösung. Kolorimeter, geschlossen. Die verschiebbare Schlitzblende wird auf Farbgleichheit eingestellt. Auf der Skala kann man dann den Wert ablesen. Die linke Abbildung zeigt das Gerät in geöffnetem Zustand. Man erkennt den gefärbten Glaskeil (GK), links davon das Röhrchen für die Probe (Probenküvette, PK). Mit Hilfe einer verschiebbaren Schlitzblende (rechte Abbildung) stellt man Farbgleichheit zwischen Glas und Probe ein und kann mit dem Zeiger auf der nummerischen Skala (NSK) die "Sahli-Einheiten" ablesen
 
Das Reichert Kolorimeter Abb. 3: Kolorimeter zur Hämoglobin-Bestimmung (Reichert, ca. 1900).
Oben die kreisrunde, zweigeteilte Küvette. In der unteren Hälfte sieht man einen Teil des roten Glaskeils, der mit der Rändelschraube (ganz unten) verschiebbar ist.
Detailabbildung des Reichert Kolorimeters Abb. 3 Detaildarstellung:
In den oberen Teil der Küvette (=Probenküvette, PK) wird das verdünnte Blut eingefüllt. Der Glaskeil wird mit der Rändelschraube so lange verschoben, bis gleiche Farbintensität in beiden Hälften der Küvette erreicht ist. Auf der mit dem Glaskeil (GK) verbundenen nummerischen Skala (NSK) kann das Messresultat numerisch abgelesen werden.

Otto Folin (Abb. 4) beschrieb 1904 die Creatinin-Bestimmung mittels des Duboscq-Kolorimeters (Abb. 5).

Otto Folin (1867-1934)

Sog. Duboscq-Kolorimeter (um 1900)

Abb. 4 (links): Otto Folin (1867-1934).
Aus: Clinical Chemistry 48 (1) 193 (2002). Man beachte das Duboscq-Kolorimeter im Hintergrund.

Abb. 5a (rechts): Duboscq-Kolorimeter (um 1900).
Man beachte den Drehknopf mit Skala an der rechten Kante des Geräts (am Bild links).

 

Prinzip des Duboscq-Kolorimeters Abb. 5b (rechts): Prinzip des Duboscq-Kolorimeters.
Das Licht geht durch die Messküvetten mit den verschieden intensiv gefärbten Lösungen und durch die in diese Lösungen tauchenden Glasstäbe. Durch optische Aufbereitung entsteht aus den beiden Lichtstrahlen das Abbild einer zweigeteilten Scheibe. Tauchen beide Kolben gleich tief in die Messküvetten ein, dann wird der von der linken Küvette kommende Strahl dunkler sein (1). Schiebt man den Glasstab in der linken Küvette nach unten, wird der Weg, den der Lichtstrahl in der Lösung zurückzulegen hat, kürzer, der Strahl bleibt heller. Man schiebt den Glasstab so lange nach unten, bis man die Scheibenhälften gleich gefärbt sind (2). Kennt man die Konzentration der Lösung in der rechten Küvette, kann man aus dem auf der Skala (links) abzulesenden Zahlenwert die Konzentration der Lösung in der linken Küvette berechnen.

Dies war der Beginn einer wichtigen Entwicklung, in deren Folge eine Reihe weiterer kolorimetrischer Messmethoden für dieses Standardinstrument entwickelt wurde. In wissenschaftlichen Kreisen war die Kolorimetrie dennoch nicht unumstritten, da ihr vielfach zu geringe Spezifität vorgeworfen wurde. Kolorimetrische Bestimmungen sind viel schneller und einfacher als gravimetrische Verfahren, daher hat sich die Kolorimetrie trotz der Spezifitäts-Vorbehalte rasch durchgesetzt.

Die apparative Weiterentwicklung wurde in Europa durch die Produktion des "Pulfrich-Photometers" (Abb. 6) ab 1923 bei Zeiss in Jena getragen.

Pulfrich-"Photometer", ca. 1950

Abb. 6a: Pulfrich-Photometer (Zeiss, Jena, ca. 1950).
Links das Lampengehäuse, rechts die Detektionseinheit, ganz rechts das Okular, davor das Filtergehäuse. Obwohl nach der Definition ein "Kolorimeter", wurde es als "Photometer" bezeichnet, weil es monochromatisches Licht benutzt

 

Schema des Pulfrich-Photometers

Abb. 6b: Schema des Pulfrich-Photometers.
Die von einer Beleuchtungseinrichtung (6) kommenden Lichtstrahlen gehen durch die 2 Küvetten (1) und anschließend durch die 2 Messblendenöffnungen (2), die durch Drehen an den sog. Messtrommeln (3) verstellbar sind. Mit Hilfe einer Prismenoptik werden die Lichtstrahlen
nebeneinander so angeordnet, dass das Sehfeld im Okular wie eine zweigeteilte Scheibe wirkt (5). Auch Farbfilter (4) können in den Strahlengang gebracht werden. Mit den Messtrommeln wird auf Farbgleichheit eingestellt.
Kennt man die Konzentration der Vergleichslösung in der einen Küvette, kann man aus dem von der Skala der Messtrommel abzulesenden Zahlenwert die Konzentration der Messlösung in der anderen Küvette berechnen.


Das Gerät wurde laufend weiterentwickelt und blieb bis nach 1950 eines der wichtigsten Geräte im medizinischen Laboratorium. Allerdings ist der Name "Photometer" irreführend, da es sich eigentlich um ein "Kolorimeter" handelt.

  • Im "Kolorimeter" wird das menschliche Auge als "Messinstrument" benutzt, um ein optisches Messsystem auf "Farbgleichheit" abzustimmen. Mit einer Rändelschraube wird ein Farbkeil aus Glas so lange verschoben, bis in einem Beobachtungsfenster die Farben von Glaskeil und Probe ident sind. Mit der Rändelschraube ist eine Skala verbunden, auf der das Messresultat schließlich als Zahl abgelesen werden kann (siehe Abb. 3). Man erhält so ein Maß für die Stoffkonzentration in der Lösung.
      
  • Im "Photometer" wird die Intensität von Licht, das durch eine Lösung durchtritt, mittels einer Photozelle in Strom umgewandelt. Mit entsprechenden Eichverfahren sind präzise Absolutmessungen rasch und einfach durchführbar. Darüber hinaus kann mit Hilfe geeigneter Vorrichtungen Licht einer einzigen Wellenlänge für die Messungen benutzt werden, was die Genauigkeit erheblich steigert.

Für das Photometer gibt es zwei wesentliche Konstruktionsprinzipien (auf die Beschreibung vieler anderer Photometer-Konstruktionen kann aus Platzmangel nicht eingegangen werden):

  • Spektralphotometer: Als Lichtquelle dient eine Wolframdraht- Glühlampe, die ein kontinuierliches Spektrum aller Wellenlängen des sichtbaren Lichts aussendet. Durch einen, mit höchster Präzision hergestellten optischen Bauteil ("Gittermonochromator") wird das Licht in seine spektralen Bestandteile zerlegt. In diesem optischen System kann "monochromatisches" Licht jeder beliebigen Wellenlänge von hoher Qualität hergestellt werden.
  • Spektrallinienphotometer: Als Lichtquelle dient eine Quecksilberdampf- Lampe, die ein diskontinuierliches "Linienspektrum" erzeugt. Grundsätzlich stehen daher nur ganz bestimmte, von der Anregung des Quecksilberdampfes erzeugte Wellenlängen zur Verfügung. Nicht benötigte Wellenlängen werden dabei durch geeignete Interferenzfilter ausgeblendet. Im Idealfall steht von den vorgegebenen Wellenlängen ebenfalls "monochromatisches" Licht von hoher Qualität zur Verfügung. Leider haben die Filter die Tendenz zu "altern", so dass mit der Zeit immer mehr anderes Licht durchfällt und damit die Präzision des Photometers abnimmt.
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Beginn der Entwicklung moderner Geräte

Spektralphotometer wurden ab 1941 in den USA von Beckman entwickelt und gebaut, die Herstellung der Gittermonochromatoren war extrem aufwendig und teuer. Nach Europa kamen die ersten Geräte ab 1950, waren aber aufgrund ihrer exorbitanten Kosten reine Forschungsgeräte. Filterphotometer wurden ab 1950 in Europa gebaut, führend war unter anderem die Firma Eppendorf in Hamburg (Abb. 7).

Funktionsprinzip des Filterphotometers "Eppendorf" (um 1955).

Abb. 7: Funktionsprinzip des Filterphotometers "Eppendorf" (um 1955).
Aus Herbert Keller: Klinisch-chemische Labordiagnostik für die Praxis, Thieme (1986)

Die Firma Eppendorf stellte ein sehr robustes und verlässliches Gerät zu einem relativ günstigen Preis her, das rasch zum Standardgerät der Labormedizin wurde. Zwischen 1950 und 1970 wurde ein großer Teil der klinischen Chemie im deutschen Sprachraum mit diesem oder ähnlichen Geräten erarbeitet und betrieben. An den rein kolorimetrischen Verfahren wurde schon frühzeitig insofern Kritik geübt, als sie als zu wenig spezifisch angesehen wurden. Das heißt, die Farbreaktion ist nicht (nur) eine Funktion der Konzentration des gesuchten Stoffes. Auch andere, nicht direkt involvierte Substanzen wirken bei der Farbreaktion mit und können somit das Resultat beträchtlich verfälschen. Schon frühzeitig hat man versucht, die Analysen durch Einsatz enzymatischer Reaktionen spezifischer zu machen. 1908 wurde erstmals die Reaktion des Enzyms Amylase im Harn beschrieben. Die frühesten, für die Routine brauchbaren enzymatischen Testsysteme für Creatinin, saure und alkalische Phosphatase wurden um 1937–38 entwickelt. Unabhängig davon hat der Nobelpreisträger Otto Warburg bereits ab 1928 für seine Enzymforschungen photometrische Methoden entwickelt, die sowohl apparativ als auch chemisch Neuland bedeuteten. Er nahm damit in der Grundlagenforschung Entwicklungen vorweg, die in die Routineanalytik der Labormedizin erst ab 1954–1955 Eingang fanden. Ab 1955 begannen die wesentlichen Entwicklungen auf dem Gebiet der klinischen Enzymologie. 1961 brachte Boehringer Mannheim den ersten enzymatischen UV-Test für das Leberenzym GOT (ASAT) auf den Markt. Um 1970 waren die heute gebräuchlichen Methoden auf breiter Basis in der Routine eingeführt. In engem Zusammenwirken zwischen den klinisch-chemischen Fachgesellschaften und der einschlägigen Industrie wurden standardisierte Methoden entwickelt und verbreitet. Parallel dazu wurde auch das Konzept der externen Qualitätssicherung etabliert. Standardisierte Methoden und externe Qualitätssicherung haben zusammen erst die weitgehende interlaboratorielle Vergleichbarkeit der heutigen Analysenresultate ermöglicht. Die frühen Kolorimeter benötigten für eine Analyse viele Milliliter Reagenzlösung. Das Eppendorf- Photometer war für 3-ml-Küvetten ausgelegt. Bei eingeschränkter Präzision waren nach Umrüstung des Geräts auch 1-ml-"Mikro"-Küvetten einsetzbar. Mit einem, durch Handhebel bewegbaren Mehrfach-Küvettenhalter konnten vier Küvetten gleichzeitig in das Gerät geladen und nacheinander gemessen werden. Das Ablese-System entsprach einem Drehspulen-Strommessgerät mit analoger Lichtmarken-Anzeige. Mittels Stoppuhr wurde der Zeittakt für die Messungen bestimmt, die Küvetten von Hand in die richtige Position bewegt und der angezeigte Wert von der Skala auf das Messprotokoll übertragen. Die Messwerte der enzymatischen Reaktion wurden schlussendlich in einem Millimeterpapier-Raster eingetragen und die Steigung der Ausgleichsgeraden mit dem Winkelmesser bestimmt. Mit Hilfe von Umrechnungstabellen wurde aus dem Winkel der Ausgleichsgeraden die enzymatische Aktivität berechnet. Serienanalysen waren extrem zeitraubend und erforderten stundenlang höchste Konzentration.

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Erste Mechanisierung

Voraussetzung für eine brauchbare Mechanisierung waren daher automatisierte Pipettiereinrichtungen, vollmechanischer Vortrieb der Küvetteneinheit und, vor allem, ein brauchbarer analog-digital Wandler für das Messsignal.
Das automatisierte Pipettiersystem erlaubte die Reduktion der eingesetzten Mengen an Serum und Reagenz und war zudem weit präziser als die Pipettierung von Hand. Heutige Messsysteme benötigen etwa 0,2 ml Reagenz und wenige Mikroliter Serum.
Der Wunsch nach vollmechanischem Vortrieb der Küvetteneinheit hat die unterschiedlichsten Konstruktionsprinzipien hervorgebracht. Derzeit gilt ein runder Küvettenteller, der sich um eine vertikale Achse dreht, als "state of the art". Von den ersten, händisch zu kalibrierenden analog-digital Wandlern bis zu den heutigen leistungsstarken PCs an den Geräten war es ein weiter Weg.
Das größte Problem bei der Entwicklung von schnellen, flexiblen und vollmechanisierten Analysensystemen war jedoch das Photometer. Für die gesamte Palette klinisch-chemischer Analysen muss ein Photometer bei zirka zehn verschiedenen Wellenlängen messen können. Sind verschiedene Analysen hintereinander zu messen, muss das System möglichst rasch von einer Wellenlänge zur anderen wechseln. Nun ist es aber unmöglich, bei jedem Filterwechsel das System neu zu kalibrieren, daher wurden an derartige Geräte extreme Anforderungen bezüglich Langzeit-Stabilität der optischen Einheit gestellt. Das wiederum bedingte einen enormen konstruktiven und damit finanziellen Aufwand. Daher waren in der Frühzeit der Vollmechanisierung Geräte gefragt, die aus bis zu 100 Patientenproben jeweils nur eine Analyse durchführten, das aber relativ rasch. Anschließend musste das System umgerüstet werden: Filter umstecken, Pipettor umbauen, Reagenz wechseln. Danach konnte die nächste Methode abgearbeitet werden, usw. Im Englischen hießen diese Geräte "batch-analyser". Typische Vertreter waren die Geräte ABA 100® von Abbott und ACP 5040® von Eppendorf.
Große Systeme konnten zwar viele verschiedene Analysen in einem Arbeitsgang aus einer Patientenprobe anbieten, mussten dafür aber sehr großen apparativen Aufwand betreiben. Für den dafür notwendigen raschen Wellenlängenwechsel waren Filter-Räder in die auch sonst extrem aufwendigen Photometer-Einheiten eingebaut. Ein Gerät hatte sogar ein zusätzliches kleines Küvetten-Karussell. Schlussendlich waren derartige Geräte so kompliziert, dass ein störungsfreier Betrieb über längere Zeiträume nicht möglich war. Um die Durchsatzgeschwindigkeit (Analysen pro Stunde) zu erhöhen, wurden die Messzeiten extrem verkürzt, was zusätzliche Probleme von seiten der Chemie und der Photometer- Genauigkeit brachte. Ein typischer Vertreter dieser Gerätefamilie war das System G 450® von Greiner (Abb. 8), einer der ersten sogenannten "Selektiv-Analyser" auf dem Markt. Man konnte bei diesem System aus etwa 25 Analysen für jede Probe "selektiv" die gewünschten Analysen auswählen.

Das Greiner G450 Photometer

Abb. 8: Greiner G 450® Selektiv-Analyser mit Filterphotometer (ca. 1985).
Pipettier- und Photometereinheit. Links der komplette, extrem aufwendig konstruierte Bauteil, rechts das eigentliche Photometer. Zur Verlängerung der Messzeit werden die Proben im separaten Küvetten- Karussell an zwei verschiedenen Positionen hintereinander gemessen (durch "roten" und "blauen" Strahlengang verdeutlicht)


Ein früher konstruktiver Sonderfall (ACA® von DuPont) benutzte für jede Analyse ein eigenes Kunststoff- Säckchen, in dem die Reagenzien vorportioniert waren. Als Spezialgerät insbesondere für Notfall-Analysen war der Durchsatz von 60 Analysen pro Stunde ein geringeres Problem. Die exorbitant hohen Reagenzienpreise waren hingegen für eine große Verbreitung in Europa prohibitiv (Abb. 9).

Dupont-Photometer (um 1970), Photometereinheit Abb. 9a: Photometer-Einheit eines Dupont ACA® II (um 1970).
Im Zentrum des Bildes ist das Filterrad für den Wechsel der Wellenlängen zu sehen, davor das Lampengehäuse aus Aluminium. Gewicht ca. 20 kg
Dupont-Photometer (um 1970), Pipettiereinheit Abb. 9b: Pipettier-Einheit eines Dupont ACA® II ( um 1970).
Rechts unten der Schrittmotor, links davon die Schraubenspindel. Mit der Spindel wird der Kolben (ganz links unten) in der Dosiereinheit (links oben) auf und ab bewegt. Gewicht ca. 10 kg

Einen eigenen Entwicklungsweg stellten sogenannte "Durchfluss-Systeme" (Autoanalyser® von Technicon) dar. Mittels Rollenpumpen wurden Serum und Reagenzien in kalibrierten Schläuchen gemischt und schlussendlich in einem Photometer mit Durchfluss-Küvette gemessen. Die Entwicklung ging von frühen, analog messenden Einkanal- Systemen für Blutzucker und Cholesterin bis zu 20-Kanal-Systemen mit EDV-Unterstützung. Da man für jede Analyse einen eigenen Kanal benötigte, waren diese Systeme sehr unflexibel. Zudem wurden aus jeder Probe alle Analysen durchgeführt, für die das System ausgelegt war, egal ob sie benötigt wurden oder nicht. Das wiederum bedingte hohen Reagenzienverbrauch und damit unwirtschaftlichen Betrieb. Konventionelle Spektralphotometer eignen sich für raschen Wechsel der Wellenlänge nicht, da jedes Mal eine neue optische Kalibration erfolgen muss.

Eine ganz spezielle Sonderkonstruktion (COBAS® Bio, Roche) war als "batch-analyser" konzipiert, hatte aber die Eigenheit, dass sich die Proben in einer rasch drehenden (ca. 1.000 U/min) Zentrifuge befanden (Abb. 10). Als Lichtquelle diente ein synchronisiertes Stroboskop-Blitzlicht. Aufgrund seiner besonderen konstruktiven und logistischen Eigenheiten war dieses System extrem präzise und vielseitig. Für den Routinebetrieb war es dennoch zu schwerfällig und infolge der langen Umrüstzeiten zu langsam.

Cobas Bio Batch-Analyser (ca. 1975) Abb. 10: COBAS® Bio "batch-analyser" mit Spektralphotometer (ca. 1975). Zentrifugalanalyser, bei dem die Reaktionen in einer laufenden Zentrifuge bei etwa 1.000 U/min in Kunststoff-Küvetten gemessen werden. Als Lichtquelle dient ein Stroboskop-Blitzlicht.
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Die Trockenchemie

Farbreaktionen können nicht nur in wässrigen Lösungen ablaufen, man kann sie auch auf ein festes Trägermaterial transferieren. Ein typisches Beispiel ist das Lackmus- Papier. Hier wird der pH-Indikator Lackmus nicht in flüssiger Form dem Reaktionsgemisch zugegeben, sondern auf Papier gebunden und mit diesem in die Lösung eingetaucht. Das Resultat kann anschließend bequem mit einer mitgelieferten Farbtabelle verglichen und so die Farbe mit dem entsprechenden pH-Wert korreliert werden. Als erstes hat man versucht, die nasschemische Harnanalytik auf die sogenannte "Trockenchemie" umzustellen. Hier war der Bedarf besonders groß, weil für die nasschemischen Verfahren eine Reihe unangenehm aggressiver Substanzen (wie z.B. konzentrierte Schwefelsäure, Jodlösung etc.) verwendet wurde. Nach 1950 waren die ersten "Harnstreifen" verfügbar, mit deren Hilfe man zunächst Eiweiß und Glukose, später dann eine Reihe weiterer Substanzen nachweisen konnte. In der Folge versuchte man ähnliche Prinzipien auch für die Serumdiagnostik nutzbar zu machen. Hier waren die Hindernisse beträchtlich, es haben sich schlussendlich zwei verschiedene Prinzipien durchgesetzt. Beiden Systemen gemeinsam ist, dass das Wasser in der Probe ausreicht, um die gewünschte chemische Reaktion in Gang zu setzen. Es wird also weder Flüssigkeit dem System zugeführt noch gibt es flüssigen Abfall. Ein System (Kodak) wurde in Richtung Großanalysensystem entwickelt. Aufgrund der aufwendigen Test-Chips ist das System allerdings aus finanziellen Gründen wenig konkurrenzfähig. Ein zweites System (Reflotron®, Boehringer Mannheim) wurde als "bedside"- Analysensystem konzipiert, das heißt, es ist relativ klein und kann in jeder Arztpraxis auf dem Tisch stehen (Abb. 11). Aufgrund dieser Eigenschaften wurde dieses System auch ausgewählt, in der seinerzeitigen russischen Raumstation MIR die klinisch-chemische Analytik der Kosmonauten vor Ort durchzuführen. Beide Trockensysteme haben in beschränktem Umfang ihre Marktnischen gefunden.
 

Ullbrichtsche Kugel, die Photometer-Einheit von trockenchemischen Analysensystemen Abb. 11: Trockenchemisches Analysensystem Reflotron® (ca. 1980).
Photometereinheit (Ulbricht’sche Kugel) mit Leuchtdiode (LED) und zwei Photodioden (Messdiode "D" und Referenzdiode "DR"). Die Ulbricht’sche Kugel ist innen optisch "ideal reflektierend". Das Licht aus der LED fällt auf die Probe und wird dort je nach abgelaufener Reaktion mehr oder weniger reflektiert. Die Messung des reflektierten Lichts erfolgt mittels der Messdiode D, Kompensation unspezifischer Störungen mittels der Referenzdiode DR.
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Der apparative Durchbruch

Um das Jahr 1980 waren all die hier besprochenen Systeme mehr oder weniger an einem toten Punkt ihrer Entwicklung angelangt. Da tauchte aus Japan ein völlig neues Photometer-Prinzip auf, das die Geräteentwicklung revolutionierte. Entstanden war die Idee zu diesem Prinzip an einer japanischen Agrar-Universität. In einem Forschungsprojekt sollte überprüft werden, bei welchen Wellenlängen des Lichtes eine bestimmte Pflanze am besten wächst. Anstatt nun Hunderte Pflanzen mit Hunderten Lampen mit monochromatischem Licht zu bestrahlen, verfiel man auf eine brillante Idee: Extrem starkes Licht einer Xenon-Hochdrucklampe wurde über einen überdimensionalen Gittermonochromator horizontal in seine einzelnen Wellenlängen aufgefächert. Im Halbkreis wurden nun die Pflanzen in diesen Lichtfächer gestellt. Wo sie gut wuchsen, war eine brauchbare Wellenlänge, wo sie nicht gediehen, waren die Verhältnisse schlecht. So konnte man mit einem Gerät in einer Wachstumsperiode unter gleichen Bedingungen alle Wellenlängen testen. Das optische System wurde in einem der größten Industriekonglomerate der Welt (Hitachi) entwickelt. Offensichtlich war das Prinzip dort auch jemandem aus der Abteilung "Klinisch-chemische Analysensysteme" aufgefallen. Auf die Photometrie umgelegt, funktioniert das Prinzip so: Die Messküvette wird zunächst mit weißem Licht durchstrahlt. Erst danach fällt das Licht auf den Gittermonochromator und wird in seine Wellenlängen zerlegt. Entlang dem aufgefächerten Lichtspektrum werden hier nicht Pflanzen, sondern Photodioden plaziert. Der Platz der einzelnen Photodiode entscheidet über die Wellenlänge, die sie misst. So können aus einer Probe gleichzeitig zehn verschiedene Wellenlängen gemessen werden, ohne dass irgendeine mechanische Veränderung am System erfolgen muss. Für jede Messung werden lediglich die 1-2 notwendigen Photodioden aktiviert, die Resultate der anderen Dioden werden verworfen.

Prinzip des Spektralphotometers

Abb. 12a: Schema des Spektralphotometers
Die Lichtquelle liefert weißes Licht, das die Messküvette durchstrahlt. Danach fällt das Licht auf einen Gittermonochromator, der es nach Wellenlängen auftrennt.

Damit ist es möglich, in Arbeitstakten von weniger als zehn Sekunden bei minimalem apparativem Aufwand beliebige Wellenlängen aus einem vorgegebenen Spektrum zu messen. Das eigentliche Photometer ist handtellergroß und besitzt keinerlei mechanisch bewegliche Teile (Abb. 12b). Mit diesem Prinzip werden heute die meisten modernen Analysensysteme gebaut. Sie können an die 1.000 photometrische Analysen pro Stunde durchführen.

Photmetereinheit eines Hitachi-Analysers

Abb. 12b: Hitachi Spektralphotometer (um 1980).
Ganz rechts ist das Lampengehäuse, das weiße Licht fällt horizontal auf den Gittermonochromator ganz links, die Auftrennung in die verschiedenen Wellenlängen ist am schräg abwärts fallenden "Regenbogen" zu sehen. Die Photodioden befinden sich am Ende der weißen Fläche in der unteren Mitte des Bildes.

Selbstverständlich kann im Rahmen dieser kurzen Abhandlung nicht auf alle Entwicklungslinien der Analysensysteme eingegangen werden. Viele haben sich als Sackgassen erwiesen, andere wurden von der ständigen Weiterentwicklung und von innovativen Technologien überholt. So wie im Jahre 1980 der Siegeszug des "Hitachi Photometers" nicht vorhergesehen wurde, ist es auch heute nur schwer möglich, gültige Aussagen über die zukünftigen Entwicklungen zu machen. Die Industrie versucht seit Jahrzehnten, das bekannte Spannungsdreieck "schnell – gut – billig" in Einklang zu bringen. Üblicherweise darf man aber nur zwei von diesen Begriffen zur Erfüllung seiner Wünsche auswählen! Darüber hinaus ist zu bedenken, wie viele wesentliche Komponenten ein modernes Analysensystem besitzt: Mechanik, Optik, Hydraulik, Elektronik, Datenverarbeitung. Alle diese internen Systeme der Geräte müssen auf möglichst hohem Niveau konstruiert sein und über Jahre klaglos funktionieren. Dazu kommen noch weitere wesentliche Qualitätskriterien eines Analysensystems: Geräte-Logistik, Reagenzien, personeller Support des Lieferanten. Über Erfolg oder Misserfolg eines neuen Analysensystems entscheidet aber das schwächste Glied in dieser gesamten Kette aller genannten Komponenten. Man darf allerdings nicht vergessen, dass heutige klinisch- chemische Analysensysteme bereits einen derart hohen Grad an Perfektion erreicht haben, dass weitere Steigerungen in Richtung Durchsatzgeschwindigkeit und Miniaturisierung der Probenvolumina aufgrund extrem konstruktiven Aufwands als unwirtschaftlich erscheinen. 

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Letzte Änderung 2004-08-11

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